Die Gefahr, lau zu werden
„Also, weil du lau bist
Offenbarung 3:16
und weder kalt noch warm,
so werde ich dich ausspeien
aus meinem Munde.“
„Weil du lau bist und weder kalt noch warm, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde.“ Nichts ist dem Herrn Jesus unerträglicher als die Lauheit. Lieber kalt als lau! Warum wohl? Lauheit ist mit Unwahrheit behaftet. Und alle Unlauterkeit verabscheut Jesus aufs stärkste. Sie widerspricht seinem Wesen. Denn er ist die Wahrheit in Person. Aus einem Kalten kann leichter noch etwas werden als aus einem Lauen, der im Selbstbetrug dahingeht.
Der Heiland möchte brennende Herzen haben, brennend im Eifer und in der Liebe. Wahrscheinlich befand sich Laodizea in äußerem Wohlstand und in behaglichen Verhältnissen. Da dünkt man sich reich und satt. Laue Christen sind nicht wirklich reich in Gott. Sie sind es nur in ihrer Einbildung. Seelen, die reich sind im Herrn, fühlen sich arm in sich selbst.
Darum strecken sie sich immer wieder verlangend aus nach der Gabe Gottes. Geistliche Armut ist das erste Kennzeichen eines Reichsgenossen (Matthäus 5:8). Laue Seelen sind stets satt. Weil ihnen der gesunde Appetit fehlt, zeigen sie ein Verlangen nach Reiz- und Genussmitteln. Sie verschmähen die gesunde Hausmannskost, die wirklichen Nährwert besitzt. Das schlichte Wort Gottes genügt ihnen nicht. Sie haben einen verwöhnten Gaumen und sind sehr wählerisch in Bezug auf die Wortdarbietung und kritisch in bezug auf die Werkzeuge in der Wortverkündigung.
In diese geistliche Sattheit waren auch die Korinther geraten. Darum sassen sie über die Prediger zu Gericht, anstatt sich von einem jeden nach seiner besonderen Gabe dienen zu lassen. „Ihr seid schon satt geworden!“ ruft ihnen der Apostel zu. Sind wir am Ende auch solche satten Leute? Oder gleichen wir dem durstigen Land, das reichlich Flüssigkeit in sich aufnehmen kann? Bedürfnislosigkeit in bezug auf irdische Dinge ist sehr löblich. Aber in geistlicher Beziehung taugt sie nichts.
Der rechte Fortschritt im geistlichen Leben besteht darin, dass man der Gnade des Herrn Jesu immer bedürftiger wird und keine Stunde ohne ihn sein und leben kann. Lauheit kommt teils aus Selbstüberschätzung, teils aus Weltsinn. Bei allem Hochmut und aller Selbsteinbildung ist Selbstbetrug im Spiel. Man redet sich ein, man sei reich, und ist doch arm, jämmerlich und elend. Seien wir wachsam! Von Simson war die Kraft gewichen, und er wusste es nicht. So geht es auch Jüngern Jesu. Sie merken es nicht, wie allmählich Lauheit um sich greift.
Die Erkenntnis unseres Elends, unserer Jämmerlichkeit und unserer Armut ist ein sehr bedenkenswertes und deutliches Zeichen der rechten Bekehrung im Herzen, ein Zeichen, das viel tiefer und feiner ist als alle anderen Zeichen, weil es oft das offenbart, was man in keiner anderen Weise ans Licht bringen kann. Mag nämlich alles andere sein, wie es wolle, so ist es doch gewiss, dass derjenige Christ, der mit sich zufrieden ist und der sich nicht zuweilen zu bekümmern, ja, über sich selbst zu erschrecken und sich zu ängstigen pflegt, sondern in dieser Beziehung immer Ruhe hat, sich bestimmt in der Lauigkeit des Laodicea-Lehrers befindet.
Wir reden nicht davon, dass ein Christ bei gewissen Gelegenheiten – entweder während großer geistlicher Freude oder während einer zufälligen Schläfrigkeit nicht selbstzufriedener sein kann; er wird bald wieder große Sorge über sich selbst haben, und er ist gewöhnlich auch während des größten Trostes und der größten Freude in Christus doch mit sich unzufrieden. Diese Unzufriedenheit mit sich ist also das Normale im Leben eines Christen. Zwar kann auch der Laue durch ein gelegentliches grösseres Versehen – zumal wenn dasselbe den Menschen in die Augen fällt – über sich oder die Tat betrübt sein; im allgemeinen aber ist er doch selbstzufrieden, stolz und ungebrochen. Hier ist also darauf zu achten, was die allgemeine oder die gewöhnliche Meinung eines Menschen über sich selbst ist. Denn dies ist das Kennzeichen, das der Herr Jesus mit diesem Wort darstellen wollte.
Autoren: Carl Eichhorn und Carl Olof Rosenius