Der Autobahnabschnitt zwischen Aschaffenburg und Gießen gehört zu meinen Favoriten.
Weil: kaum Verkehr, kein Stress, kein Stau. Freie Fahrt für genervte A99 und A9 und A3 – Geschädigte. Vielfahrer wissen: Die Strecke Salzburg-München-Nürnberg-Würzburg ist ein NO-GO. Und das im wahrsten Sinne des Wortes.
Google-Maps versprach: Die restlichen 122 Kilometer schaffst du in einer Stunde und neun Minuten. Warum ich das so genau weiß? Weil genau in diesem Moment ein dumpfer Schlag durchs Mobil dröhnte; der Kleinwagen schlingerte, Schleifgeräusche mischten sich unter die Hektik und der Blick in den Rückspiegel schockte: Kein Fahrradständer mehr. Alles weg.
Der zweite und der dritte Blick in die Seitenspiegel trug auch nicht zur Entspannung bei: Fast auf Asphalthöhe baumelte das Vorderrad vom Mountainbike. Das zweite Fahrrad schien sich verabschiedet zu haben.
Also: Warnblinkanlage einschalten, Seitenstreifen ansteuern, anhalten. Draußen war’s stockdunkel. Die Taschenlampe vom Smartphone verschaffte etwas Beruhigung: Beide Räder hingen am kaputten Träger.
Ein Haltebolzen hatte sich verabschiedet. Anstatt die Bikes aufrecht durch die Welt zu transportieren, zog der Träger sie hinter sich her. Erste dürftige Reparaturversuche scheiterten … hinzu kommt, dass so ein Seitenstreifen kein guter Platz zum Überlegen ist. Da blieb nur eine Möglichkeit: In Schrittgeschwindigkeit und mit eingeschalteter Warnblinkanlage Sturm betend den nächsten Parkplatz anfahren.
Nach fünf Kilometern tauchte das blaue Schild aus der Nacht auf. Endlich! Tote Hose auf dem Parkplatz. Nur vier abgedunkelte Lastzüge verteilten sich auf dem großen Areal. Meine Frau und ich stiegen aus und starrten auf den defekten Radträger.
„Was ist denn euch passiert?“ Ein freundlicher Herr in dunkelblauer Monteursjacke und grauem Overall lächelte uns an. Wir hatten ihn nicht kommen hören. „Der Radträger“, sagte ich und nickte in Richtung des verbogenen Teils, „der hat sich selbstständig gemacht.“ Der Herr im Overall bückte sich und klopfte gegen das Metall. „Sieht noch gut aus, das hält bestimmt!“, fand er und erhob sich wieder.
„Habt ihr einen Gurt dabei?“ Ich schüttelte den Kopf. Nein, wir hatten keinen Gurt im Fahrzeug. „Mal schaun`, ob ich für euch was auftreiben kann!“Der Herr verschwand hinter der Autobahntoilette. Nach einigen Minuten stand er wieder vor uns. In seiner rechten Hand: ein Gurt. Was mich zu diesem Punkt neugierig machte: Wir hörten keine Fahrzeugtür schlagen und ein Blinklicht zappte auch nicht durch die Nacht. Komisch …Der Mann im Overall ging auf die Knie, wickelte den Gurt um den Radträger, zog ihn durch die Öse des Kofferraumdeckels, spannte, lockerte und schloss den Kofferraum.
„So, jetzt kommt ihr wieder heim!“ Seine Augen lachten. Ich rüttelte an den Fahrrädern und am Träger. Fest. Sicher. Perfekt!
„Was bin ich Ihnen schuldig“, wollte ich von ihm wissen. „Nichts“, antwortete er schnell“. „Auf jeden Fall! Sie haben den Gurt für uns geopfert, der war nicht billig!“ Ich meinte es ernst. Er schaute uns an, nickte leicht und sagte: „Alles gut. Mich schickt der liebe Gott.“ Solche Aussagen erwartest du nicht. Nicht auf einem Rastplatz in der Nacht. Ehrlich gesagt wusste ich, dass da vor uns kein Schwätzer stand. Dem fehlte keine Schraube unterm Dach. Meiner Frau und mir war bewusst: Der Mann sprach die Wahrheit.
Trotzdem unternahm ich noch einen letzten Anlauf: „Darf ich Ihre Adresse haben?“„Warum?“ hakte er nach. „Ich will mich wirklich sehr gerne erkenntlich zeigen.“ (Er sollte mein neues Buch – Die Geschichte von Max – bekommen) „Meine Adresse ist nicht notwendig“. Schon wieder dieses Lächeln. „Ich bin der Engel für euch.“Er sprach nur das aus, was meine Frau und ich von Anfang an vermuteten.
Ich schwieg. „Danke!“, sagte ich schließlich leise, „Danke, Engel!“„Wir sehen uns noch öfter“, sagte er und lächelte zum letzten Mal. Und dann war er weg. Verschwunden.Wir drehten uns im Kreis und wussten nicht wohin mit unseren Gefühlen. Kann man nach einer solchen Erfahrung zur Tagesordnung übergehen? Man kann. Oder: Wir konnten. Wir hockten im Fahrzeug und fuhren in Richtung Daheim.
Schweigend. Hin und wieder unterbrachen wir die Stille mit fassungslosem Gestotter oder schauten nur in unsere große Augen. Solche Blicke brauchen keine Übersetzung. Da war ein Engel. Im Blaumann. Der offene Himmel. Schutz und Hilfe. Für Interpretationen bleibt kein Spielraum.
Der Radträger hielt. Wir haben jetzt einen Gurt im Kofferraum. Von einem Engel. Heute, drei Tage später, wackelt mein Kopf immer noch. Das Herz klopft, die Freude ist enorm, der Himmel sperrangelweit offen. „Mich schickt der liebe Gott.“ Das ist eine geniale Ansage, oder? Geschickt vom „lieben Gott“ – besser kann man sich nicht seinem Gegenüber vorstellen. Im Neuen Testament findet sich eine Arbeitsbeschreibung für die Engel: „Sie sind Diener“, steht dort.
„Wesen der unsichtbaren Welt, die denen zu Hilfe geschickt werden, die am kommenden Heil teilhaben sollen, dem Erbe, das Gott uns schenkt.“
Wie krieg’ ich „ein Erbe am kommenden Heil“?
Ich möchte dafür „den lieben Gott“ zu Wort kommen lassen: „Denn ich, Gott, habe die Menschen so sehr geliebt, dass ich meinen einzigen Sohn für sie hergab. Jeder, der an ihn glaubt, wird nicht zugrunde gehen, sondern das ewige Leben haben.“
Da ist er wieder, der „liebe Gott“. Damals wie heute. Ewiges Leben, Vergebung, Gemeinschaft mit Gott … das alles sind keine Floskeln. Genauso wenig wie die Zusage, dass seine Engel tief fliegen. Ich hätte gerne seinen Namen erfahren.
Herkunft: lifehouseworld.com