Die Strafe liegt auf ihm
Als ich ein kleiner Knabe war,
betrug ich mich einmal beim Frühstück
recht unartig und störrisch.
Endlich sagte der Vater zu mir:
„Karl, jetzt gehst du hinaus
und bleibst zehn Minuten
vor der Türe stehen;
ich werde dir sagen,
wann du wieder eintreten darfst.“
Ich stand auf,
hielt die Tränen gewaltsam
zurück und ging,
ohne meinen Vater anzusehen,
vor die Tür,
die sofort hinter mir geschlossen wurde.
Die Minuten waren sehr lang,
und jetzt fielen meine Tränen
reichlich auf die Strohmatte
unter meinen Füßen,
denn ich schämte mich
und bereute meinen Ungehorsam.
Noch war nicht die Hälfte
meiner Strafzeit vorbei,
als auf einmal die Tür leise
geöffnet wurde und der Kopf
meines kleinen Bruders erschien.
Der Kleine schlang seine Arme
um meinen Hals und sagte:
„Karl, geh hinein;
ich will für dich draußen stehen.“
Und ehe ich ein Wort erwidern konnte,
hatte er mich hinein geschoben
und die Tür zugezogen.
Da stand ich nun,
errötend, mit gesenktem
Blick und in großer Verlegenheit,
denn ich wagte es nicht,
an den Tisch zu treten.
Aber der Vater kam auf mich zu,
nahm mich bei der Hand,
küsste mich, führte mich
an den Tisch und setzte mich
auf meinen Stuhl.
Er hatte mir vergeben
um des kleinen Gustav willen,
das wusste, das sah ich.
Es war in seinen Augen so,
als hätte ich die Strafe
selbst getragen; aber,
o wie sehr wünschte ich,
meinen Bruder wieder
an seinem Platz zu sehen!
Als die zehn Minuten vorüber waren,
wurde er endlich hinein gerufen,
und nun zog der Vater
uns beide zu sich heran
und nahm Gustav auf
das eine und mich auf
das andere Knie.
Dann umschloss er uns
fest mit den Armen
und drückte uns mit
gleicher Liebe an sein Herz,
mich, den unartigen Buben,
und Gustav,
das liebevolle Brüderchen.
Und da, am Herzen des Vaters,
durfte ich nun in Reue,
Liebe und Dankbarkeit
heraus schluchzen.

Jahre waren vergangen
seit jener Begebenheit;
ich war längst erwachsen
und hatte das
Vaterhaus verlassen.
Da wurde ich einmal
wieder lebendig an jene
alte Geschichte erinnert,
die gleichsam ein Vorspiel
zu einer Erfahrung ernsterer
Art gewesen war,
die ich noch zu machen hatte:
Ich befand mich wieder
vor einer geschlossenen Tür,
weinend vor Reue und Scham.
Es waren meine Sünden,
die mich von meinem
himmlischen Vater trennten.
Ich wusste, dass ich unter
dem Zorn Gottes stand.
Aber siehe,
da erkannte ich auf einmal,
dass ein anderer aus Liebe
zu mir meinen Platz
vor der Tür eingenommen hatte,
damit ich hingehen dürfe
in des Vaters Nähe
und seine Vergebung
erlangen könne.
Es war Jesus, mein Heiland.
Als ich an jenes Erlebnis
aus meiner Kinderzeit
zurück dachte,
wurde mir sein
stellvertretendes Leiden
wunderbar klar und deutlich,
und ich konnte glauben,
dass mir um Jesu willen
die Vergebung zuteil geworden.
Herkunft unbekannt
