Der Herr ist mein Hirte
Der Psalm 23
(Ein Psalm Davids.) Der HERR ist mein Hirte; mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf grüner Aue und führet mich zum frischen Wasser. Er erquicket meine Seele; er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen. Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und dein Stab trösten mich. Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein. Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des HERRN immerdar. Psalm 23:1-6
Ist das nicht in der Tat die Sprache der Schafe Christi: “Mir wird nichts mangeln”? – darum nichts mangeln, weil der Herr mein Hirte ist? Der Allgenugsame unser Hirt! Nichts kann zu seiner Fülle etwas hinzufügen, nichts sie vermindern. Es liegt in diesem kleinen Satz eine überschwengliche Fülle des Inhalts und ein Reichtum an Frieden, die nur Christi Schäflein bekannt sind.
Der übrige Teil des Psalms legt eigentlich nur aus, was in diesem ersten Vers enthalten ist: Ruhe, Labung und Erquickung, sichere Leitung, Frieden im Tod, Triumph über die Feinde, ein überfließendes Maß von Segnungen; heitere Aussicht in die Zukunft, ewige Sicherheit im Leben und im Sterben, in Glück und Unglück, Segen im Geistlichen wie im Leiblichen, für Zeit und Ewigkeit.
Wenn der Herr mein Hirte ist, dann wohl mir! Er ist imstande, für alle meine Bedürfnisse zu sorgen, und an Willen fehlt es ihm sicher nicht; denn sein Herz ist voller Liebe. Darum wird mir nichts mangeln. Es wird mir an zeitlichen Gütern nicht fehlen; denn nährt er nicht die Raben, lässt er nicht die Lilien auf dem Felde wachsen? Wie könnte er da sein Kind umkommen lassen?
Aber auch in meinem geistlichen Leben wird mir nichts mangeln. Ich weiss, dass seine Gnade für mich genügt. Traue ich auf ihn, so wird er mir zusprechen: “Wie deine Tage, so sei deine Kraft!” Mag sein, dass ich nicht alles habe, was ich mir wünsche; aber mangeln wird mir nichts, was mir wirklich notwendig und heilsam ist. Andere, die vielleicht reicher und weiser sind als ich, mögen Mangel leiden, aber ich nicht.
David sagt nicht nur: “Mir mangelt nichts”, sondern: “Mir wird nichts mangeln.” Mag kommen, was da will; mag eine Hungersnot das Land verwüsten oder ein Unglück die Städte zerstören – mir wird nichts mangeln. Das Alter mit seinen Gebrechen wird daran nichts ändern, ja, ich habe alles und habe Überfluss – nicht, weil ich einen reichen Geldvorrat auf der Bank habe; nicht, weil ich soviel Geschicklichkeit besitze, mein Brot zu erwerben, sondern weil der Herr mein Hirte ist. Die Gottlosen haben immer Mangel, die Gerechten nie. Des Sünders Herz ist nie befriedigt; aber die begnadigte Seele bewohnt den Palast der göttlichen Zufriedenheit. Der Herr ist mein Hirte.
Diese Gesinnung vertrauensvoller Abhängigkeit von unserem himmlischen Vater sollen wir pflegen. Er sorgt für mich. Er hat auf meine Schritte acht und erhält mich. In welcher Lage ein Gläubiger auch sein mag – er steht immer unter der Fürsorge des guten Hirten. Das Schaf ist ein Eigentum des Herrn. Sein Eigentümer hält es wert, denn es ist um einen teuren Preis erkauft worden. Welch eine wunderbare Sache, so gewiss wie David zu wissen, dass wir dem Herrn gehören!
Welche Erniedrigung liegt darin, dass der unendlich große HERR Seinem Volk gegenüber das Amt und die Haltung eines Hirten einnimmt! Es sollte uns zu dankbarer Bewunderung führen, dass der große Gott erlaubt, mit etwas verglichen zu werden, das Seine wunderbare Liebe und Fürsorge gegenüber Seinem Eigentumsvolk beschreibt.
David selbst hatte Schafe gehütet und kannte beides: die Bedürfnisse der Schafe wie auch die vielen Mühen des Hirten. Er beschreibt sich selbst als schwaches, wehrloses und törichtes Geschöpf, und er will Gott als seinen Versorger, Bewahrer, Leiter und letztlich als sein Alles haben. Das schönste Wort von allen hier ist das einsilbige »mein«. Er sagt nicht: »Der HERR ist der Hirte der ganzen weiten Welt und leitet Seine unzählbare Herde«, sondern: »Der HERR ist mein Hirte.« Wäre Er auch sonst niemandes Hirte, so wäre Er doch der Hirte für mich; Er sorgt für mich, behütet mich und erhält mich. Die Worte stehen in der Gegenwart. In welcher Lage sich der Gläubige auch befindet, er steht gerade jetzt unter der Hirtenfürsorge des HERRN.
Das Christenleben besteht aus zwei Elementen:
Es ist besinnlich und aktiv. Für beides ist reichlich gesorgt.
Zuerst das Besinnliche: »Er lagert mich auf grünen Auen.« Was sind diese »grünen Auen« anderes als die Heilige Schrift der Wahrheit? Sie ist immer frisch, immer reichlich und niemals auszuschöpfen. Herzerfreulich und reichhaltig sind die Lehren des Evangeliums, die rechte Seelennahrung, so wie zartes Gras das natürliche Futter für Schafe ist.
Der zweite Teil eines gesunden Christenlebens besteht aus gesegneter Aktivität. Wir denken nicht nur nach, wir handeln auch. Wir ruhen nicht nur und essen, sondern wir befinden uns auf der Reise zur Vollkommenheit. Darum lesen wir: »Er führt mich zu stillen Wassern.« Was sind diese »stillen Wasser« anderes als die Einflüsse und Gaben Seines gesegneten Heiligen Geistes? Wie Wasser (hier im Plural) hilft uns Sein Geist bei den verschiedenen Tätigkeiten, die uns reinigen, erfrischen, fruchtbar machen und erfreuen. Wenn die Seele mit Kummer beladen ist, belebt Er sie wieder; wenn sie gesündigt hat, heiligt Er sie wieder; wenn sie schwach wurde, stärkt Er sie wieder.
Dies ist die Freude des Christen! »Du bist bei mir.« Während ich mich hier befinde, bin ich gleichzeitig zu Hause bei meinem Gott; die ganze Welt wird mir zu Seinem Haus; und wenn ich in den »Obersaal« steige, wird sich an meiner Gesellschaft nichts ändern, nicht einmal das Haus. Ich werde nur gehen, um für immerdar in den oberen Stockwerken des Hauses des HERRN zu wohnen.
Möge der Herr uns die Gnade gewähren,
in der himmlischen Atmosphäre dieses
überaus gesegneten Psalms zu wohnen!
Herkunft: Charles Haddon Spurgeon (* 19.06.1834; † 31.01.1892)