Zank und Streit
„Und Verwüstung und Gewalttat sind vor mir, und Streit entsteht, und Hader erhebt sich“ (Habakuk 1:3).
Streit ist unangenehm, egal mit wem wir ihn anfangen: mit Nachbarn oder Freunden, Ehegatten oder Kindern; und am schlimmsten ist es, wenn wir mit Gott hadern.
Sieh dir die unglücklichen Auseinandersetzungen und Spaltungen im Volk Gottes an. Streitigkeiten sind immer ein Hinweis auf einen ungesunden Zustand. Christus hat das Licht Seines Evangeliums aufgestellt, damit wir darin leben und wirken sollen, und nicht, um zu zanken und zu streiten; und deshalb wäre es kein Wunder, wenn er es ausschalten würde, um so dem Streit ein Ende zu setzen.
Wenn die Stürme, die uns entgegen waren und noch sind, die Christen dazu gebracht hätten, wie die Jünger damals (Markus 6:48), ihre Ruder zu nehmen und einmütig alle in dieselbe Richtung zu rudern, wäre es schön. Dann hätten wir erwarten können, dass Christus in Gnade zu uns kommt und uns sicher an Land bringt. Doch wenn wir das Ruder wegwerfen und einen Streit im Schiff anfangen, während der Wind über uns hinwegfegt, werden wir wahrscheinlich eher Christus von uns wegtreiben, als Ihn einzuladen; und dann sind wir dem Versinken näher als der Rettung.
Abgesehen von Christus und dem Himmel gibt es nichts, was der Teufel den Gläubigen mehr missgönnt als ihren Frieden und ihre gegenseitige Liebe. Wenn er sie dem Christus nicht entreißen und ihren Eingang in den Himmel nicht verhindern kann, dann gefällt es ihm jedoch sehr, sie in einem Sturm zum Himmel gehen zu sehen, wie eine zerstreute Flotte, wo ein Schiff vom anderen getrennt ist, damit keins dem anderen Unterstützung und Sicherheit geben kann. Ein Schiff ist leichter zu besiegen als ein Geschwader.
Wenn das Evangelium uns nicht gestattet, unseren Feinden mit gleicher Münze heimzuzahlen, wie viel weniger wird es dulden, dass Brüder sich gegenseitig Feuer ins Gesicht spucken.
Wenn Kinder zanken und streiten, ist die Zeit nahe, dass der Vater kommt und sie mit der Rute auseinander bringt. „Und er wird das Herz der Väter zu den Kindern, und das Herz der Kinder zu ihren Vätern wenden, damit ich nicht komme und das Land mit dem Banne schlage“ (Maleachi 4:6). Streit und Hader wohnen Tür an Tür mit dem Bann. Gott bringt ein schweres Gericht über ein Volk, wenn Er es verlässt. „Seid eines Sinnes“, sagt der Apostel, „seid in Frieden, und der Gott der Liebe und des Friedens wird mit euch sein“ (2. Korinther 13:11), was darauf schließen lässt, dass sie, wenn sie nicht in Frieden wären, nicht erwarten sollten, dass Gott noch länger mit ihnen sein würde.
In Tagen der Spaltungen, wo es so viele unterschiedliche Meinungen gibt, hätten wir die Tür der Wahrheit, nach der jetzt so viele suchen, besser gefunden, wenn wir weniger miteinander gezankt und mehr mit Gott gerungen hätten. Der Weg der Meinungsverschiedenheiten ist staubig, und Streitgespräche wirbeln diesen Staub auf und treiben ihn am ehesten denen in die Augen, die am schnellsten hinein galoppieren, wodurch sie die Wahrheit verfehlen, die eine demütige Seele auf ihren Knien am Thron der Gnade findet. …
Sündige Zeiten waren schon immer Gebetszeiten für den Gläubigen. Sie führten Esra dazu, mit beschwertem Herzen die Sünde seines Volkes zu bekennen (Esra 9).
Und Jeremia muss den Gottlosen seiner heruntergekommenen Tage sagen, dass seine „Seele im Verborgenen weinen wird wegen ihres Hochmuts“ (Jeremia 13:17).
Die Liebe der Vielen wird erkalten (Matthäus 24:12), und das ist kein Wunder, wenn die Selbstliebe so heiß wird. Auch der Apostel prophezeite, dass die Menschen in den letzten Tagen eigenliebig sein werden (2. Timotheus 3:1–2).
Und welch schlechte Gefolgschaft hat ein solcher Anführer! Wenn ein Mann erstmal das Ich zum Ziel seines Strebens macht, dann heißt es Lebewohl für die Liebe und das Gebet für andere. Nächstenliebe kann nicht in der Enge eines Herzens wohnen, das sich selbst liebt; sie ist ihm entgegengesetzt: „Die Liebe sucht nicht das Ihre“ (1. Korinther 13:5).
Es waren nicht die besten Christen, von denen Paulus sagte, dass sie „das Ihre“ suchen. Wenn das Herz in der Gnade wächst, wird es auch sozial gesinnt. Je höher man den Berg erklimmt, desto besser ist die Aussicht, das Auge ist nicht durch die eigenen Wände eingeschränkt. Das Fleisch denkt nur an sich, während Gnade die Seele erhebt, und je mehr Gnade jemand hat, desto mehr wird er fähig sein, von sich selbst wegzusehen und ein Auge für den Zustand des anderen zu haben.
Ich kannte einen Mann, der immer dann, wenn ein schlechter Gedanke des Neids gegen andere in ihm aufkam (und wer wollte sich davon freisprechen, dass solches Ungeziefer manchmal eindringt), zum Thron der Gnade ging und aufrichtig darum bat, dass sie genau in diesen guten Dingen, die er ihnen zuvor missgönnt hatte, zunähmen.
Wenn die Liebe erst einmal den Staub sich wieder legen ließ, den Leidenschaft und Vorurteile in unsere Augen gewirbelt haben, werden wir besser in der Lage sein, die Wahrheit zu erkennen. Bemitleide deinen schwachen Bruder, und nimm ihn bei der Hand, aber verachte ihn nicht; Gott kann ihn standhaft machen und zulassen, dass du fällst.
Christus hat den glimmenden Docht nicht ausgelöscht – warum sollten wir das tun?
Das Schwert der Verfolgung ist zurzeit nicht an der Kehle der Versammlung, aber zerstreiten sich die Christen nicht untereinander? Es wird oft gefragt, warum das gepredigte Wort nicht mehr Ungläubige zur Bekehrung bringt oder Gläubige erbaut. Ein Hauptgrund liegt in den Spaltungen unter denen, die das größte Bekenntnis der Wahrheit haben.
Der Leib Christi wird in Liebe auferbaut (Epheser 4:16). Selbst die Apostel profitierten wenig von der Rede des Herrn oder von dem Mahl, das er austeilte, weil sie sich untereinander stritten. Man hätte meinen können, in der Kraft eines solchen Mahls hätten sie (wie Elia) eine weite Reise machen können. Doch wir sehen leider, wie schwach sie davon aufstanden; der eine verleugnet seinen Herrn, die anderen verließen ihn aus Furcht. Christus betet für die Einheit seines Volkes:
„Damit die Welt erkenne, dass du mich gesandt hast“ (Johannes 17:21).
Das sollte alle, die dem Evangelium wohl gesonnen sind, anspornen, für die Einigung gespaltener Herzen zu beten; heiße Diskussionen führen zu nichts; aber wenn das Gebet nicht hilft, was sonst? Nur der Gott des Friedens kann uns in Frieden sein lassen; auch eine weise Einigung muss mit der Weisheit von oben geschehen, denn diese allein ist rein und friedsam.
Ach ihr Christen, sollen Herodes und Pilatus euch beschämen? Sie schlossen Frieden, um sich die Hände gegen Christus zu stärken, und ihr könnt euch nicht gegen euren gemeinsamen Feind vereinen? …
Streit beendet das Wachstum in der Gnade. Der Körper gedeiht unter Fieber genauso schlecht, wie die Seele unter der Flamme von Streit und Hader.
Beachte die Stelle: „Die Wahrheit festhaltend in Liebe, lasst uns in allem heranwachsen zu ihm hin“ (Epheser 4:15). Der Apostel zeigt, wie Seelen wachsen und gedeihen können, und das Rezept, das er gibt, besteht aus zwei seltenen Medikamenten: Wahrheit und Liebe. Nimm sie ein und alles wird gut.
Ohne Liebe kann gepredigt, aber nicht auferbaut werden. Auch die Verbindung zum Himmel wird abgeschnitten. Das Gebet nimmt ab, sobald der Zank mit Brüdern zunimmt. Es ist unmöglich, freimütig aus dem Zank ins Gebet zu gehen. Und wenn du doch so kühn bist, an der Himmelstür anzuklopfen, wirst du einen kalten Empfang haben:
„Lass daselbst deine Gabe vor dem Altar und geh zuvor hin, versöhne dich mit deinem Bruder; und dann komm und bringe deine Gabe dar“ (Matthäus 5:24).
Aber wenn wir unsere Verbindung zum Himmel abschneiden, dann auch die Verbindung untereinander …
Die Versammlung wächst unter Verfolgung. Verfolgung verbreitet die Saat über das ganze Feld und bringt das Evangelium an Orte, an die es sonst niemals gekommen wäre. Doch Spaltungen und Streit waschen die Saat aus dem Land aus wie ein wilder Sturm. Streit ruiniert nicht nur die Gnade, sondern begünstigt die Sünde.
„Wenn ihr aber bitteren Neid und Streitsucht in eurem Herzen habt, so rühmt euch nicht … denn wo Neid und Streitsucht ist, da ist Zerrüttung und jede schlechte Tat“ (Jakobus 2:14–16).
Streit ist die Schmiede des Teufels, in der er den Christen nur ein, zwei Mal erhitzen muss, um ihn für die Hammerschläge der Versuchung weich zu machen. Selbst Mose redete unbedacht mit seinen Lippen, als sein Geist etwas erhitzt war.
Wir neigen dazu Ereiferung mit Eifer zu verwechseln. Doch Streit ist meistens ein Brander Satans, den er schickt, um die Einigkeit und Ordnung der Gläubigen zu zerstören, denn diese Einigkeit macht sie zu einer uneinnehmbaren Armada, und Satan weiß, dass Streit die einzige Möglichkeit ist, sie zu zerstreuen [Fußnote 1].
[Fußnote 1] Die Armada, eine spanische Flotte aus Segelschiffen, wurde 1588 im Hafen von Calais durch Brander, d.h. in Brand gesetzte Schiffe, auseinandergetrieben und dadurch leichter angreifbar für die englischen Kriegsschiffe.
Herkunft: William Gurnall