Wie lange, o HERR?
Dem Vorsänger. Ein Psalm Davids.
Wie lange, o Herr, willst du mich ganz vergessen? Wie lange verbirgst du dein Angesicht vor mir? Wie lange soll ich Sorgen hegen in meiner Seele, Kummer in meinem Herzen tragen Tag für Tag? Wie lange soll mein Feind sich über mich erheben? Psalm 13:1-3
»Bis wann?« Diese Frage wird nicht weniger als viermal wiederholt. Das weist auf das höchst intensive Verlangen nach Befreiung und auf große Herzensangst hin. Oder sollte auch einige Ungeduld darunter gemischt sein? Wäre es dann nicht ein noch genaueres Bild unserer eigenen Erfahrungen?
Es ist nicht leicht, das Verlangen davor zu bewahren, in Ungeduld abzugleiten. O,welche Gnade ist es, wenn wir beim Warten auf Gott davon abgehalten werden, einen murrenden Geist zuzulassen!
»Wie lange, o HERR? Willst Du mich vergessen immerdar?«
Ach, David, du redest wie ein Tor! Kann Gott vergessen? Kann die Allwissenheit an Gedächtnisschwäche leiden? Viel mehr noch: Kann das Herz des HERRN Sein eigenes geliebtes Kind vergessen? O, Brüder, lasst uns solche Gedanken vertreiben!
»Immerdar?« Welch finsterer Gedanke! Eine zeitweilige Vergesslichkeit anzunehmen, wäre gewiss schlimm genug; aber sollten wir die schreckliche Frage aufwerfen und uns vorstellen, der Herr werde Sein Volk für immer verwerfen? Nein, Sein Zorn mag eine Nacht dauern; aber Seine Liebe bleibt ewiglich.
»Bis wann willst Du Dein Angesicht vor mir verbergen?« Das ist eine weit vernünftigere Frage; denn Gott kann Sein Angesicht verbergen und doch unser gedenken. Ein verborgenes Angesicht ist nicht ein Zeichen für ein vergessliches Herz. Aus Liebe verbirgt Er Sein Angesicht; doch ist es für ein wirkliches Kind Gottes schrecklich, wenn sein Vater das Angesicht verbirgt und es wird sich nie mehr wohlfühlen, bis Gott ihm wieder zulächelt.
»Bis wann soll ich Sorgen hegen in meiner Seele?« Im Hebräischen liegt darin der Gedanke an ein Anhäufen der sorgenvollen Gedanken, so als seien die Sorgen unzählig und gleichwohl vergeblich. Indem wir so denken, gleichen wir oft David, der immerzu und Tag und Nacht überlegte und doch kein passendes Mittel fand, seinem Kummer zu entfliehen.
»Bis wann soll sich mein Feind über mich erheben?« Kaum etwas tut den Ohren eines bekümmerten Menschen mehr weh als das Gelächter der Feinde. Denn dass sich der Teufel über uns lustig macht, gibt uns den Rest und lässt unsere Geduld zusammenbrechen; darum lasst es uns zu einem Hauptthema bei unserem Flehen um Barmherzigkeit machen!
Der sorgfältige Leser wird merken, dass die Frage: »Bis wann?« vier Ebenen hat. Der Kummer des Schreibers wird dargestellt, wie er zu sein scheint, wie er ist, wie er sich auf ihn selbst und wie er sich auf seine Feinde auswirkt. Wir neigen alle dazu, auf der schlechtesten Saite zu spielen. Wir bauen Gedenksteine über den Gräbern unserer Freuden. Wer aber denkt daran, Denkmäler des Lobes für die empfangenen Barmherzigkeiten zu errichten?
Wir schreiben vier Bücher voller Klagelieder und eins über Lobgesänge und kennen uns viel besser aus mit dem Herausjammern eines Miserere als mit dem Singen eines Te Deum.1Te Deum (von lateinisch Te Deum laudamus, deutsch Dich, Gott, loben wir) ist der Anfang eines feierlichen, lateinischen Lob-, Dank- und Bittgesangs
Zum Nachdenken: Es ist wohl richtig, unser eigenes Herz zu kennen, damit wir überführt werden; doch werden wir, wenn wir von dieser Seite her Trost erwarten, jämmerlich enttäuscht werden. Dies scheint zeitweise bei David der Fall gewesen zu sein.
Offenbar steckte er in großem Elend; und wie es in solchen Fällen oft vorkommt, wandten sich seine Gedanken nach innen. Solange er das tat, hatte er täglichen Kummer; doch als er sich um Rettung an Gott wandte, bekam er Zuversicht.
Er vertraute auf Gottes Barmherzigkeit, und sein Herz freute sich seiner Rettung. Es gibt viele Menschen, die in Trübsalen David im ersten Teil seiner Erfahrungen nachahmen. Ich wünschte, wir folgten ihm auch im zweiten. (Andrew Fuller)
Weitere Lesung:
Nur zweierlei tue mir nicht an, dann will ich mich vor deinem Angesicht nicht verbergen: Tue deine Hand von mir und ängstige mich nicht mit deinem Schrecken! Dann rufe du, und ich will antworten, oder ich will reden, und du erwidere mir! Wie viele Sünden und Vergehen habe ich? Laß mich meine Übertretungen und Missetaten wissen! Warum verbirgst du dein Angesicht und hältst mich für deinen Feind? Verscheuchst du ein verwehtes Blatt und verfolgst einen dürren Halm? Denn du verschreibst mir Bitteres und läßt mich erben die Sünden meiner Jugend; du legst meine Füße in den Stock und lauerst auf alle meine Schritte und zeichnest dir meine Fußspuren auf Hiob 13:20-27
Herkunft, aus dem Andachtsbuch: Besser als Gold